Nah beisammen: Glanz und Verfall – Teil II

Wir traben zu Fuß durch die Stadt. Ausgeschlafen und gut gefrühstückt.
Wer in Palermo ein ruhiges, großzügig gestaltetes und recht gut ausgestattetes Hotel sucht, hier meine Empfehlung: Hotel Casena dei Colli & Officine Baronali Luogocontemporaneo –  wenn auch der Zahn der Zeit nagt, ist man dort gut aufgehoben.

WP_20151014_22_37_12_Hotel_Nacht… ein Schnappschuss kurz nach unserer Ankunft und einer am Morgen vom Balkon unseres Apartments

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Bis Mitternacht hörten wir die Bands von der Bühne der nahen Villa Castelnuovo. Am Abend werden wir wieder beim Event sein.

Wir traben also los. Unser Ziel ist das Stadtzentrum, die Altstadt und weiter zum Hafen. Wir wünschen uns, eine andere Stadt zu entdecken, als die, die wir am Vortag vorfanden. Jede Großstadt hat seine „schrägen Ecken“, stelle ich für mich fest.

Nein. Es ist, wie es ist.

Romantiker würden diese Stadt sicher so beschreiben: Eine lebendige, quirlige Mittelmeer-Metropole mit vielfältigen Facetten.

Palermo ist ganz sicher eine faszinierende Stadt. Noch heute ist der Glanz von damals sichtbar. Sichtbar sind auch die vielen, vielen völkerbunten Einflüsse, der sehr langen Geschichte, die schon ca. 800 v. Chr. begann. Mich beeindrucken die mächtigen barocken Gebäude neben den orientalischen.

Palermo ist eine Fundgrube für Fotografen und Künstler. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, begeistert mich diese Stadt ungemein. Es verlockt zum Verharren, zum Betrachten. Es verlockt! Es gelingt nicht. Genervt stolpere ich die ausgetretenen, beschädigten, schiefen, löchrigen Fußwege, immer bedacht, auf keinem Hundehaufen auszugleiten, entlang. Will man eine Straße überqueren, müssen geparkte Autos umgangen werden. Der Straßenverkehr ist das reinste Abenteuer. Regeln scheinen auf ein Minimum geschrumpft. Das wichtigste Verkehrsinstrument ist die Hupe. Jegliches Fahrzeug hupt und hupt und hupt … Es macht die Stadt wahnsinnig laut und mich fast verrückt.

Wir stiefeln inzwischen fast mechanisch weiter. Erreichen das Stadtzentrum, die Altstadt und schlagen den Weg zum Hafen ein. Kein Gebäude, kein Straßenzug ist in einem akzeptablen Zustand. Die Stadt ist desolat. Verfallen. Die Menschen scheinen dem Müll und Dreck mit Gleichgültigkeit zu begegnen, sich der Situation zu ergeben, als nicht veränderbar hinzunehmen. Eine schmerzhafte Erkenntnis.

… ein paar Schnappschüsse – Ich habe diese willkürlich ausgewählt. Es könnte jedes andere Foto sein.

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Pflastermüde, genervt von der Hektik, dem Lärm, der schlechten Luft und durstig erreichen wir den Hafen.
Entdecken ein kleines Bistro und fallen erschöpft in den Stuhl. Etwas abseits der Straßen, etwas bessere Luft.

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Wir trafen immer auf freundliche, hilfsbereite Menschen, auf keinen der deutsch sprach, aber wer spricht in Deutschland italienisch? Meistens sprach unser Gegenüber ebenso schlechtes Englisch wie wir. Wenn nix mehr ging, half ein gegoogeltes Bild auf dem Smartphone.

In diesem kleinen Bistro hielten wir es eine gute Stunde aus und zogen weiter am Hafen entlang, vorbei an streunenden Hunden und Katzen, an Joggern, Kamerateams, Touristen, Wassersportlern, bis wir am Wasser Keramik-„Matratzen“ entdeckten.

WP_20151016_15_24_24_Matratze-KeramikWir konnten nicht widerstehen und ließen uns von einer solchen lustig-bunten Liege einladen, bevor wir uns wieder zurück in die Altstadt aufmachten.

Wir wählten andere Seitenstraßen, um noch mehr von der Stadt zu sehen. Wir liefen enge kaputte Gassen entlang, unter Wäsche, die zum Trocknen aus den Fenstern hing, an vielen kleinen Lädchen vorbei, die in den Häuserzeilen wenige ausgesuchte Waren anboten. Wir kämpften mit den verstopften Straßen, hupenden Autos, lauten Menschen.
Inzwischen wurde es dunkel. Wir setzten uns in eine Pizzeria, genossen eine Kleinigkeit und einen guten Wein und beobachteten, wie der Tagesstress sich in den Straßen zu einem Abend“stress“ wandelte. Sahen, wie sich Pärchen schick gemacht haben und mit dem Freitagabend in das Wochenende starteten, wie sich Eltern mit ihren Kindern zum gemeinsamen Abendessen trafen, wie eine Limousine vor das Haus nebenan fuhr,  ein Mann von zwei Personenschützern zum Hauseingang begleitet wurde, die beiden erst weiter fuhren, als sie ein Signal erhielten. Es ist laut und lebhaft, die Luft geschwängert von Abgasen. Ich bin müde und völlig k.o.

Wir sind etwa acht bis zehn Kilometer auf den Steinen unterwegs gewesen, gefühlte dreißig!
Taxi!!! Wir wollen doch noch zum Event in die Villa Castelnuovo!

Schon von weitem hören wir von der Aktionsbühne die großartigen Klänge des Gitarristen. Meine müden Füße nehmen den Rhythmus auf und tragen mich etwas leichter über die Schottersteinchen. Wir schlendern durch die Künstlerzelte und bewundern die wahrlich anspruchsvollen Werke der Künstlerinnen und Künstler aus vielen Ländern. Nino Parrucca, ein Keramikkünstler, beeindruckt mit seiner Farbenpracht, mit der er die keramischen Stücke gestaltet. Wir können nicht wiederstehen und nehmen ein paar mit. Giovanna Cinoffo ist eine Glaskünstlerin. Ich mag die liebevoll gestalteten Muranoglas-Schmuckstücke sehr. Bei ihr kauften wir das Erinnerungsstück an dieses Event.

Stellvertretend für die großartigen Künstlerinnen und Künstler bei diesem Event hier ein paar Links zum Stöbern:

Anita Bjorbekk
Yolanda Antal
Giovanna Riggi
Liliana Lucia Consoli
Nuovi Orizzononti
Kirsten Host

Von der Bühne erklingen inzwischen Rhythmen der 50er Jahre. Mit Rock n Roll in den Füßen verabschieden wir uns von diesem Kunst-Event und gehen die nur etwa 800 Meter zum Hotel.

… der Morgen ist warm und sonnig. Italienische Musik tönt aus den Boxen, wird abgelöst von einem Moderator, der sich beim Reden selbst zu überholen scheint. Ich schaue durchs Fenster des Taxis, das uns zum Airport bringt und sauge das Palermo in mir auf. Wir verlassen die Stadt und fahren direkt am Meer durch die kleinen Vororte. Diese erinnern mich irgendwie an Zypern. Die kleinen weißen Häuser, das blaue Meer, die Oliven- und Zitrusbäumchen – es stimmt mich versöhnlich. Oh, wie lange ist das eigentlich her, als ich dort war? Irgendwann in den 90ern. Wann werde ich mal wieder in Palermo sein …

PS: Wer mag: Dieses Video fand ich bei Yuotube. Ein „Kurzspaziergang“ durch Palermo.

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