Alles Sache der Betrachtung

Eigentlich wohne ich in einer sehr, sehr ruhigen Region im südlichsten Süden Deutschlands. Mitten im Grünen, in einem klitzekleinen Ortsteil, am Hang einer Streuobstwiese, ein Ort im Tal eingekuschelt mit ein paar kleinen Häusern, einer Kirche, einer Bushaltestelle, einem Kindergarten, deren Betrieb wegen der Uneffektivität eingestellt werden sollte und die Eltern den Erhalt hart erkämpften und ein paar kleineren Handwerksunternehmen, die sich meistens an ihren Häuschen ansiedelten.

Seit dem März 2020, also seit dem ersten Lockdown, hat sich mein Arbeitsplatz in das heimische Büro / Atelier verlagert. Und seitdem weiß ich, dass diese vermeintliche Ruhe, die ich zuvor meistens empfand, sich in lauten  Geräuschen von landwirtschaftlichen Maschinen, von Traktoren, in Schleifen, Klopfen und Poltern der angesiedelten Handwerker, den neuen Baustellen der vielen Häuslebauer, dem Läuten der nur einhundert Meter entfernten Kirche und so weiter … auflöst. Wenn dann noch die Rasenmäher und -traktoren hin- und herrattern, dann ist es mit meiner Konzentration fast am Ende. Das geschlossene Fenster dämpft zwar das Drama. Aber es macht zum Beipiel das Arbeiten mit einem Mikrofon, wenn ich die Aufnahmen für meinen Podcast „Hör-Cafè“ mache, fast unmöglich. Es ist tatsächlich eine Herausforderung, ruhige Momente zu finden. Und das ist meistens in der Nacht oder sehr zeitig am Morgen.

Als ich die letzte Sendung aufnahm, gab es wieder einen solchen Moment. Die Häuslebauer beendeten endlich das Schneiden von Steinen mit einer Trennscheibe. Ich dachte: Jippiiie! Endlich! Vorsorglich schließe ich immer alle Fenster und Türen. Ich sprach die ersten Sätze in mein Mikrofon und in diesem Moment sprang ein Motor an. Ein Rasentraktor gurkte hin und her. Ich konnte meine Arbeit nicht fortsetzen und lauerte auf einen ruhigen Moment.

Ich denke, ich empfinde das übersteigert sensitiv, weil ich mich der Situation unmittelbar ausgesetzt fühle. Jeder andere wird das einfach als eine zum Leben dazugehörende sympathische Geräuschkulisse empfinden.

Als also wieder dieser Rasentraktor seine Runden zieht, musste ich an einen kurzen Text denken, den ich vor fünf Jahren schrieb:

Blumenwiese

„Die könnten auch mal wieder ihren Rasen mähen! Wie sieht das aus bei denen? Das ganze Unkraut blüht und wird die Samen verteilen. Überall! Dann wächst das Zeug auch hier noch!“, schnarrt Nachbar Schmidt erbost.

Nachbar Meier wundert sich: „Jetzt haben die schon wieder ihren Rasen geraspelt. Runter auf zwei Zentimeter. Unfassbar! Alles weg, die Gänseblümchen, Taubnessel, Schaumkraut, selbst die Butterblumen!“ —

„Ich frage mich, wozu wir Steuern zahlen! Im ganzen Ortszentrum haben die in diesem Jahr die Rabatten einfach nicht bepflanzt! Das sieht aus, kann ich dir sagen! Überall wächst das Unkraut wild durcheinander!“, ruft Lehmann seiner Frau zu.

Krüger ist begeistert: „Das ist ja so genial! In diesem Jahr haben die von der Gärtnerei die Rabatten als Blumenwiesen gestaltet. Alle erdenklichen Farben strahlen im Sonnenlicht, vom Mohn über Kornblumen, wilde Lilien einfach toll!“ —

„Sag mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben?“ Die Originalaufnahme von Marlene Dietrich knarrt aus dem Radio.“ Viktor meckert: „Pazifistisch. Einfach nur pazifistisch! Das kann jeder. Blöde Fragen stellen, aber keine Antworten liefern.“

Der Moderator: „Ein Anti-Kriegs-Song, der uns aufrüttelt, uns ermahnt, zum Nachdenken anregt …“ ———–

Alle Dinge im Leben haben zwei Seiten. Ich führe mir diese Dualität vor Augen und mein kleiner Groll verflüchtigt sich 😉

Genießt den Sonntag und seid herzlich gegrüßt von Eurer Petra Kolossa.

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Ein Gedanke zu “Alles Sache der Betrachtung

  1. Hey, Petra, wieder einmal toll beschrieben. Was dem einen gefällt, stört den anderen. Des einen Freud, des anderen Leid. Für mich ruft deine Erzählung schon ein bißchen Wehmut hervor, denn in der von dir beschriebenen Kulisse bin ich ein Stück weit aufgewachsen. Ich kenne sie von Kindesbeinen an, diese Handwerker die schon früher das Privileg genossen, in einem ruhigen, verschlafenen 500 Seelen Dorf auch am Sonntag schleifen und hämmern zu dürfen. Ich war oft in der von dir genannten Kirche und in dem Kindergarten, den du erwähnt hast, hat meine Frau mehrere Jahre lang gearbeitet. Die Dualität, die du ansprichst, ist tatsächlich in dieser vermeintlichen Idylle stärker ausgeprägt als in der Stadt, wo sich kaum einer für den anderen interessiert. Aber dieses Dorfleben hat was, besonders, wenn es einen, so wie mich, an seine Kindheit und Jugend erinnert. Für mich war es ein Stück Freiheit, auch wenn ich immer wusste, daß nicht alles Gold ist, was glänzt.

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