Tante Emma-Laden und so

Soeben las ich einen Beitrag und ich sah dazugehörige Aufnahmen von überfüllten Bahnhöfen und Zügen seit der Einführung dieses absurden Neun-Euro-Tickets. Dabei will ich die Menschenansammlungen, die auf den Bahnhöfen und Bahnsteigen lauerten und Haut an Haut in den Regionalzügen klebten, nicht eingehen. Und ich ignoriere in meinem heutigen Blog ebenso die derzeit zwar noch aus zweiter Reihe wabernde, jedoch um Aufmerksamkeit buhlende und ganz sicher zeitnah mit aktualisierter Virusvariante, wovon auch immer, in den Fokus preschen wird.

Das alles ist nicht Thema meines heutigen Blogs. Es war nur der Anstoß. Aber der Reihe nach …

Nur wenige Sekunden können pregnant sein und eine mächtige Gedankenflut auslösen. Ich bin mir ganz sicher, dass das jeder von uns bereits einmal erlebt hat.

Der trübe Tag hellt etwas auf.  „Cold heart“ läuft im Radio. Mein Auto rollt ruhig. Die Straßen sind frei. Elton John, denke ich. Elemente aus dem Song erinnnern mich an einen alten von ihm.   Ich muss lächeln. Mein Ex ploppt vor meinem Gesicht auf. Das ist ewig her, irgendwann Anfang der Achtziger. Es war genau dieser Song. Mir fiel damals der Interpret nicht ein und er meinte, es sei Elton John. Das wundert mich noch heute, denn sein Musikgeschmack war alles andere, als das. Ein Greuel, wenn ich ins Auto stieg und er das zuvor benutzt hatte. Ich konnte nie schnell genug den eingestellten Sender wechseln. Keine Musik quält meine Ohren mehr, als Schlager und Volksmusik.

„In fünfzehn Minuten werde ich mein Ziel erreicht haben und pünktlich zum Termin sein.“ denke ich. Ich bemerke, dass mein Herz schwer schlägt. „Tief durchatmen, ganz ruhig.“, sage ich zu mir. Es sind nur noch wenige Kilometer …

… vor wenigen Tagen gab ich nach sieben Tagen das ADAC-Club-Mobil, also den Leihwagen zurück.

So stand ich also ohne Fahrzeug in dem Ort, in dem ich lebe. Etwa tausenddreihundert Einwohner im Hinterland des Bodensees und überlegte, wie es funktionieren könnte, so ganz ohne Auto. Um zum Beispiel zu einem Supermarkt zu gelangen muss man fünf Kilometer in die eine Richtung, wie auch in die andere Richtung mit dem Auto reisen. Das Gleiche gilt für einen Arzt oder sonst irgend etwas anderem.  Mit dem Fahrrad wäre es sicher machbar. Eine Herausforderung jedoch, den vollgepackten Drahtesel den steilen Anstieg nach Hause zu treten. Selbst der Akku streikt dabei, wenn das Rad nur meine eigene Last zu tragen hat. Was aber ist im Winter oder bei andauerndem Regenwetter? Der Bus hält im ein- bis zweistündlichem Abstand unten im Ort am Kindergarten, dem Briefkasten, dem kleinen Parkplatz und den zwei Ladestationen für E-Autos, die ich in all der Zeit noch niemals benutzt sah. Wir haben hier eine Kirche und einen Friedhof. Das ist die gesamte Infrastruktur in unserem Ort. So ähnlich, wie in so vielen anderen Dörfern im ländlichen Raum Deutschlands.

Ich sinniere weiter. Wie wäre es, wenn wir einen „Tante-Emma-Laden“ hier hätten? Wir könnten kleine Einkäufe direkt hier im Ort, also ohne Auto, erledigen. Es könnte ein kommunikativer Platz sein. Ein Ort, wo auch ein Kaffee oder ein Bier getrunken werden könnte, ein Paket abgegeben oder eine Bestellung aufgegeben. Ich weiß, dass es bei den Bewohnern in unserem Dorf das vielfältigste Potential gibt, das in diesen Laden, diesem kleinen Einkaufszentrum, einfließen könnte. – Man trifft sich dort. Es gäbe auch älteren Menschen wesentlich mehr Lebensqualität und vor allen Dingen den Kontakt zu Leuten, die im gleichen Umfeld leben. Man weiß sozusagen, worüber man spricht.

Sollte nicht mit solch kleinen Dingen begonnen werden? Die Versorgung vor Ort, ohne Auto? Das Zusammenrücken der Menschen in den kleinen ländlichen Orten auf die simpelste Art überhaupt.

Wie läuft es jetzt? Die Leute steigen früh in ihr Auto und fahren zu ihrem Job. Müssen sie einkaufen, fahren sie zum Supermarkt. Müssen sie zum Arzt, fahren sie dorthin und so weiter. Am Abend sind sie zurück in ihren Häusern und machen ihr Ding. Vielleicht ein Hallo über den Gartenzaun, wenn ein anderer vorbeiläuft.

Nun, ich habe es vielleicht etwas stark heruntergebrochen. Jedoch sitze ich nach meinem Unfall mit einem Totalschaden ohne Auto hier und denke über das „was wäre wenn“ nach. Eine vernünftige Infrastruktur in den kleinen Orten, eine regelmäßige Taktung der Öffentlichen Verkehrsmittel. In den Städten ist der Fußweg bis zum Bus oder die Bahn in der Regel keine fünf Minuten weit und die Taktung oftmals weniger als fünfzehn Minuten. Das sieht hier im ländlichen Raum völlig anders aus.

Wir sind auf ein Auto angewiesen. Wir zahlen in sämtlilchen Dingen die gleichen Preise, wie ein Städter. Dieses 9-Euro-Ticket soll die Menschen davon überzeugen, die Sinnhaftigkeit der Öffentlichen Personennahverkehrs zu erkennen und perspektivisch zu nutzen und auf das Auto zu verzichten, um umweltfreundlicher zu handeln. Ob das tatsächlich so sein wird, sei dahingestellt. Man will die Menchen etwas von den derzeit hohen Kosten entlasten … Nur können wir hier nichts damit anfangen, weil die Voraussetzungen nicht gegeben sind. Statt dieses Geld in solche Aktionen zu pumpen, sollte über nachhaltige Maßnahmen nachgedacht und gefördert werden. Und das auch im ländlichen Raum.

Ich habe Glück im Unglück und darf vorübergehend bei Bedarf das Auto eines lieben Nachbarn mitbenutzen. Vielen Dank Konrad, es ist mir eine riesengroße Hilfe. 

Hoffentlich wird bald alles mit der Versicherung geklärt sein. Denn das „ohne Auto“ wird hier in der Region Bodensee / Landkreis Ravensburg noch lange Zeit  pure Illussion sein. Selbst, wenn man sich in seinen vier Wänden vergräbt und sich von Lieferanten mit deren Autos versorgen lässt, ist es ein Nutzen des Autos durch die Hintertür. Es ist wie es ist. Diese Kiste auf vier Rädern wird uns noch lange Zeit begleiten. 

Einen fantastischen Start in die neue Woche wünscht,

Eure Petra Kolossa.

2 Gedanken zu “Tante Emma-Laden und so

  1. Tatsächlich kenne ich ja beide Seiten. Bis vor fast drei Jahren wohnte ich auch etwas ländlicher, allerdings mit einem REWE und einem Netto, Bank und Post. Aber wollte man dort raus, konnte man am Sonntag beispielsweise erst ab Mittags den ersten Bus nehmen, der Werktags einmal die Stunde fuhr und je nachdem wohin mal wollte, benötigte man reine Fahrzeit über eine Stunde für 20 km.
    Jetzt, im Ruhrgebiet nutze ich seit ich hier wohne ein Seniorenticket, welches zwar mit 92 Euro kein Geschenk ist, wasmich aber in aller Richtungen schnell und bequem fahren lässt. Der Preis hat sich für mich zZT auf 9 Euro reduziert, was natürlich toll ist, denn ich spare 246 Euro und die Kosten für verschiedene Anschlusstickets.
    Es ist aber frustrierend, wenn man sieht, wie Geld für angebliche Wohltaten verpulvert wird, für wirkliche und echte Lösungen aber nichts vorhanden ist. Unsere Infrastruktur wird seit vielen Jahren einfach kaputt gespart. Aber nach aussen sind wir das führende Land in Punkto Wirtschaft und Wohlstand? Da muss man fast lachen….

    • Vielen Dank für Deine interessanten Zeilen, zumal Du es aus verschiedenen Perspektiven betrachten kannst – aus ländlicher, städtischer und ganz aktuell als Nutzer dieses 9-Euro-Tickets. Seien wir gespannt, welche Spuren diese Aktion hinterlassen wird.

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