Die Kirche im Dorf lassen

Es ist kurz nach sechs Uhr am Morgen. Es ist dunkel. Ich bin ziemlich sauer, weil ich aus meinem Tiefschlaf geholt wurde, wie so oft. Statt meinen Frust in mich hineinzufressen, haue ich den lieber in meine Tastatur. Ob Ihr das später zu lesen bekommen werdet, steht auf einem ganz anderen Blatt. “Wahrscheinlich eher nicht.”, denke ich und merke, wie sich mein Gemüt bereits nach den wenigen Worten beginnt, zu beruhigen. Schreiben scheint eine sehr gute Therapie zu sein.

Wie fast jeden Morgen werde ich durch den Lärm der nahe stehenden Kirche, die punkt sechs Uhr ihre mächtigen Glocken mit einer unglaublichen Lautstärke drei Minuten lang in die  Schlafzimmer der Bewohner dieses kleinen schwäbischen Dorfes schlägt, aus meinem Schlaf gerissen.

Ich gehöre zu den Menschen, die schlafen, oder nicht schlafen. Bin ich einmal wach gerüttelt, kann ich nicht wieder einschlafen. Was auch nicht möglich ist. Denn die Glocken erinnern mich im Takt von fünfzehn Minuten daran, wie spät es ist. Es beginnt mit einem Schlag um Viertel, zwei Schläge um Halb, drei um Dreiviertel, vier zur vollen Stunde plus der Schläge der Anzahl der Stunden. Gleich wird es also vier mal schlagen plus sieben weitere Schläge, um dann in wenigen Minuten um Viertel wieder ein mal … Hinzu kommen die Hochzeiten, Trauerfeiern, kirchliche Feiertage, wie Allerheiligen, Pfingsten, Ostern, Weihnachten, und so vieles mehr.

In meinen beruflichen Alltag muss ich den Glockenlärm einbeziehen und das Fenster schließen, um das Geläut zu dämpfen. Spreche ich einen Podcast ein, achte ich darauf, das zwischen den Glockenschlägen stückchenweise zu tun.

Ich arbeite zu Hause. Neudeutsch: Im home office. Und ich bin mir sicher, dass das inzwischen sehr viele Menschen tun.

Dieser Glockenlärm stört. Absolut! Wenn ich im Spätdienst vor einem Interview vergesse, das Fenster zu schließen, muss ich das Gespräch unterbrechen, um das nachzuholen. Das abendliche Angelusläuten um neunzehn Uhr ist so laut, dass es eine Unterhaltung in normaler Lautstärke unmöglich macht.

Vor zwanzig Jahren oder so, hat ein gefrusteter Einwohner erzwingen können, dass die Glocken nicht mehr die gesamte Nacht durchläuten. Die letzten an einem Tag läuten seit dem um Mitternacht vier mal für die volle Stunde plus zwölf mal für die Uhrzeit, also sechszehn mal. Und dann ist endlich Ruhe für ganze sechs von vierundzwanzig Stunden eines gesamten Tages.

Sicher war das Läuten einst vor vielen, sehr vielen Jahren eine nützliche Sache, als nämlich die Leute bei Tagesanbruch auf die Felder mussten, oder ihre sonstige Arbeit begannen. Die Glocken riefen die Bewohner aus ihren Betten und mahnten, den Tag mit einem Morgengebet zu beginnen. Die Menschen trugen keine Uhren und besaßen keine Wecker, Smartphones oder ähnlichem. Man orientierte und organisierte sich entsprechend den Glockenschlägen. Man wusste eben dadurch, wieviel die Glocke, die Uhr, geschlagen hatte.

Heute sieht die Welt wirklich etwas anders aus. Schließlich lassen wir auch keine Männer mehr von Turm zu Turm Nachrichten oder andere wichtige Dinge weitertragen. Und Nachtwächter rufen uns auch nicht mehr: “Liebe Leute lasst Euch sagen, die Uhr hat zehn geschlagen.”, zu.

Damals standen die Leute mit dem Hellwerden auf und gingen bei Dunkelheit zu Bett. Es gab keine Elektrizität. War es dunkel, war es Nacht, also Zeit zum Schlafengehen. “Carpe diem” stammt aus dem Jahr dreiundzwanzig vor Christi. Ich denke, Horaz meinte in der Ode “An Leukonoe” diese Zeit. Ein Zitat das bis in unsere Zeit erhalten blieb und inflationär benutzt wird.

Unser Leben hat sich grundsätzlich verändert und wir haben uns den Bedingungen und Umständen angepasst. Wir arbeiten unter anderem nachts und schlafen am Tage, wie zum Beispiel medizinisches Personal oder Menschen in großen produktiven Unternehmen. 

Als die Glocken der Kirchen uns den Tagesrhythmus vorgaben, gab es noch keine Krankenhäuser oder andere medizinische Einrichtungen, die auch in der Dunkelheit arbeiteten. Es waren Zeiten, in denen die Mediziner nachts mit einer Laterne in der Hand in die Häuser der Erkrankten kamen. Es gab auch kein produzierendes Gewerbe, das in der Nacht gearbeitet hat. Der Schmied, Tischler, Korbmacher oder sonst wer, brauchten das Tageslicht, um prouktiv sein zu können.

Gab es Feuer, oder war Gefahr in Verzug, läuteten aufgeregt die Glocken, heute übernehmen das digital gesteuerte Meldesysteme, Sirenen.

Ich weiß um das Vergangene, dem Festhalten an den Glauben und ich schätze die Traditionen. Dennoch: Wäre es nicht tatsächlich an der Zeit, auch derlei Dinge zu reformieren und der heutigen Zeit anzupassen?

Welchen Sinn ergibt das dominante Läuten im Viertelstundentakt? Wir alle haben einen Zeitmesser. Die Gläubigen nutzen das ebenso, wie unter anderem Bibel-TV und andere moderne, zeitgemäße digitale Errungenschaften, die die Kirche sehr wohl weiß einzusetzen. Hat die Kirche so wenig Vertrauen in ihre Mitglieder, dass diese zum Beispiel mit einem intensiv mahnenden Angelusläuten erinnert werden müssen? 

Oder ist es eher so, dass sich die Kirche, in unserem Fall die Katholische Kirche, ihrer Dominanz bewusst ist? Denn meine Recherchen haben gezeigt, dass es keinen Sinn ergibt, Anstrengungen zu unternehmen, sich gegen den nicht nur aus meiner Sicht ruhestörenden Lärm zu wehren. Es gibt unendlich viele Versuche, Rechtsbeistand zu erhalten. Es wurde immer von den Gerichten abgelehnt. Kirche und Staat: Ein Thema für sich.

Ich habe zwar jetzt eine ganze Portion Ärgernis in die Tasten geklopft. Dennoch will ich die Kirche im Dorf lassen.

Gibt es in Deinem Wohnort auch eine solche Kirche, die über Deinen Schlaf und Dein Leben bestimmt? Ich bin ganz neugierig. Schreibe es doch einfach in das Kommentarfeld.

Für heute genug.

Herzlich, Eure Petra Kolossa.

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