Die Sache mit dem Hut und dem Shopping

Es ist ein weiteres Jahr durchs Land gezogen. Und Ihr ahnt es: Ich habe noch immer keinen Hut.

Nicht dass Ihr glaubt, mein Interesse an solch einer edlen Kopfbedeckung habe sich im Nirwana verloren. Nein, nein! Das ist nicht der Fall. Fakt ist, dass ich mir nach wie vor selbst im Wege stehe.

Tatsächlich sehe ich meine Größe von knapp 180 cm als echte Herausforderung.
Selbst ohne einer Kopfbedeckung komme ich als recht auffällige Person daher. Hier im Süden unseres Landes scheinen die Menschen kleiner zu sein, als im Norden.  Als ich vor einigen Jahren den Weihnachtsmarkt in Oldenburg besuchte, fühlte ich mich wirklich aufgehoben. Irgendwie schaute ich die meisten von unten oder auf Augenhöhe an. Hier werde ich in den meisten Fällen von unten angesehen, oder aus meiner Sicht: Ich schaue auf die Menschen herab. Aber okay, das ist eine andere Geschichte. Fakt ist nur, dass ich mit einem Hut noch größer sein werde.

Und da sind wir schon beim nächsten Punkt. Ich werde größer erscheinen und noch auffälliger. Heh! Will ich das? Auf jeden Fall nicht immerzu.

Am 06. Mai 2018 wurde wieder die Deutsche Hutkönigin in Lindenberg gekürt.

_MG_1768Vanessa Höss, Deutsche Hutkönigin 2018 / 2019 – Foto: Willy Holger Wagner

Ja, na klar, ich war dort. Es ist einfach faszinierend, dieses Spektakel zu erleben. Lindenberg lebt zu dieser Zeit „Hut“. Bis heute werden Hüte in zwei traditionsreichen Fabriken produziert. Ein Geschäft, das der Mode völlig unterworfen ist. Ich denke, dass es kein Modeaccessoires gibt, das ein derartiges auf und ab erlebt, wie der Hut. Jedoch an den Tagen, an denen ihre Königin gewählt wird, scheint es, als sei der Hut das absolute Muss.

Fotos: Willy Holger Wagner

Alle Kandidatinnen, die sich zur Wahl stellten, waren aus meiner Sicht betrachtet, kleine Frauen. Ich stand auf dem Marktplatz unter Hunderten anderer Menschen und verfolgte die Veranstaltung. … Ich brauche nicht weiter erzählen, Ihr ahnt es schon. Richtig, ich wurde oft gebeten, an den Rand zu treten, damit auch andere einen guten Blick zur Bühne haben. … Grummel

Meine Freundin sagte neulich, ich solle es mal mit einer Kappe versuchen. Solch ein Teilchen sei total schick und edel und mache nicht größer. Sie habe das kürzlich bei „Hutshopping“ gesehen und gleich an mich gedacht. Eine Kappe? Und da kam mir gleich in den Sinn, dass ich solch eine vor ein paar Jahren günstig kaufte, um zu probieren, wie mir ein derartiges Teil steht. Diese war etwas groß und rutschte mir vom Kopf. Ich kramte die wieder raus und bekam gleich noch eine zweite Variante in die Hände. Na, was sagt Ihr dazu?

(selfie)

Es ist doch mal ein Anfang!
Jetzt habe ich riesengroße Lust und werde mich durch den Hutshop kämpfen und mir eine Auswahl kommen lassen. Das ist für mich der richtige Weg, in aller Ruhe vor dem Spiegel zu testen, herauszufinden, was genau mein Ding ist. Hach, wie schön zu wissen, wo ich dann vielleicht meine Hüte herbekomme.

Wie ist es bei Euch? Habt Ihr Eure Favoriten?

Also, ich muss jetzt …

Herzlich, Eure Petra.

 

 

 

 

 

Flickwerk

… okay, okay! Nennen wir es schicker. Sagen wir Patchwork !
Das klingt doch nach etwas, irgendwie dazugehörig, salonfähig,Teil einer, dieser, modernen Gesellschaft.
Das Irrwitzige: Ich gehöre dazu, bin also ein solches Flickerl.

Seit drei Tagen bin ich damit beschäftigt, Weihnachtsgeschenke liebevoll zu verpacken. Und das sind schon einige! Meine Gedanken schweifen zu den einzelnen, die diese kleinen Präsente erhalten werden.

In diesem Jahr nach längerer Zeit nicht mal so einfach mit der Post auf den Weg gebracht, sondern ganz persönlich. Persönlich heißt, eine Flickerl-Tour von knapp zweitausend Weihnachtskilometern durch Deutschland.

Fast alles ist verpackt und dennoch verharre ich und denke an unser Patchwork, das sich auch in diesem Jahr verändert hat.
Mir erscheint eine Familie wie eine pulsierende Zelle, ständig in Bewegung und was nicht passt, irgendwie ungesund ist, wird abgestoßen, um früher oder später ersetzt zu werden. Klingt hart, aber so ganz unverschnörkelt betrachtet, ist es so.
Ganz gleich, wieviele Jahre die abgestoßene Zelle in dieser Familie verharrte, jetzt gehört sie nicht mehr dazu. Sie ist nicht blutsverwandt. Das wird mir immer ein Rätsel bleiben. Ich habe das vor etlichen Jahren am eigenen Leib erfahren und kann die Situation sehr genau nachfühlen. Jeder von uns, der in einer Partnerschaft lebt, steht in einem Teil der Familie mit einem Bein im potentiellen Aus.

Oh verdammt, jetzt bin ich aber abgeschweift. Ich ziehe das Schleifenband fest und lege das Päckchen zu den anderen.  Nachher, so nehme ich mir vor, werde ich den beiden jungen Frauen, die ihre Kinder den Vätern zur Familienweihnachtsfeier mitgeben werden, ein paar Zeilen schreiben. Sie werden mir fehlen.

… noch ein paar Leckereien zu den Geschenktüten und dann ist alles reisebereit.

Euch allen wünsche ich schöne und erholsame Weihnachtstage im Kreise Eurer Familien.
Genießt das Fest, die Zeit und insbesondere den Augenblick.

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Herzlich, Eure Petra Kolossa.

 

 

 

 

 

 

Kürbisökonomie

Vor ein paar Tagen spulte ich mich die Serpentine von Lindau aus kommend in die Bayerischen Höhen. Bei etwas über 800 Metern liegen um Lindenberg herum kleine Orte idyllisch eingekuschelt, die sicher jedes Touristenherz höher schlagen lassen.

Als der goldene Herbst mit seinen noch recht warmen Temperaturen die Menschen in die Straßencafes lockte und sich eine urige Gemütlichkeit breit machte, besuchte ich diese Region das erste Mal.
Jetzt lauern die Einheimischen routiniert auf die Wintersaison. Das Angebot der Händler und Gastronomen ist schon heute auf die zu erwartenden Feriengäste eingestimmt. An den Straßenrändern staken zwei Meter hohe Begrenzungen für die Schneepflüge. Alles klar, möge der Schnee recht bald Einzug halten.

In einem dieser kleinen Orte traf ich den Bürgermeister. Ein Mann, Anfang vierzig, ein natürlicher Typ mit wachem Blick, ein Sympathieträger. Wir unterhielten uns über Gott und die Welt. Seine bildhafte Sprache faszinierte mich.
Er schenkte uns noch eine Tasse Kaffee ein. Schaute mich an: „Wissen sie, was mich verrückt macht?“, fragte er mich. Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Was ist es?“ Er stellte seine Kaffeetasse hart auf dem Teller ab. „Dass die da oben keine Ahnung haben, wie Kommunalpolitik in der Praxis funktioniert. Die hören nicht zu! Die sollten mal fragen! Die sollten mal vor Ort kommen!“
Ich hob die Augenbrauen und wollte ihn nicht unterbrechen. Er erklärte mir, dass die in den Gemeinden das auszubaden haben, was da „oben“ irgendwie verzapft wird. Und das Verrückte an der Sache sei, dass sie das auch irgendwie immer hinbekommen haben.
„Wir haben es mit Menschen zu tun! Egal, von wo die kommen, ob von hier oder von da. Nur ticken Menschen so, dass sie Gerechtigkeit einfordern. Es ist wie mit Kindern. Egal wie, sie wollen gleich und gerecht behandelt werden, und das mit Recht!“, betont er.
Sie hätten es hier schon immer mit Flüchtlingen oder Asylsuchenden zu tun. Das Thema sei für sie nicht neu. Und sie hätten das immer hinbekommen. Es brauche aber Zeit, einige Jahre Zeit! Aber das, was ihnen hier in diesen kleinen Orten übergestülpt wurde überschreite die Grenzen.
„Wissen sie“, erklärte er mir „es wird immer vergessen, dass diese Menschen eine eigene Kultur haben. Und das nicht erst seit kurzem. Die Leute ticken einfach anders. Wir können sie nicht umfunktionieren. Sie verstehen es einfach nicht. Wie auch!“ Er guckte mich an und erklärte:

„Der Landwirt hat zum Beispiel ein Feld mit 3000 Kürbissen. Bei uns ist alles geregelt. Es gibt Stundenlohn, es gibt eine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit, Arbeitsschutz, Gesetze über Gesetze. Im arabischen Raum funktioniert das so nicht. Und die Leute, die von dort kommen, können mit Stundenlohn und starren Zeiten nichts anfangen!“ Ich sah ihn fragend an und er sprach gleich weiter.
„Im Arabischen, wo ja die meisten Leute herkommen, geht das so: Der Bauer sagt: ‚Da ist mein Feld. Da sind 3000 Kürbisse. Die müssen geerntet werden. Dafür bekommst du soundso Geld.‘  Was macht derjenige? Der holt sich einige Leute ran, sagt denen, da sind 3000 Kürbisse, die müssen geerntet werden, du bekommst soundso Geld und fertig. Es wird gearbeitet, bis alles erledigt ist. Dann setzt man sich zusammen, derjenige teilt sein Geld und gut. So oder so ähnlich funktioniert das seit Generationen! Das machen die schon immer so!  Die können mit Stundenlohn und festgeschriebener Arbeitszeit nichts anfangen. Sie verstehen das auch nicht.“

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Er sinnierte ein paar Sekunden und meinte: „Das ist ein verdammt langer Prozess, diese Integration.“

… ja, ganz sicher:
Ein langer Prozess, dass wir tolerieren, dass diese Menschen, die aus anderen Kulturen zu uns kommen, nur langsam in ihr neu gewähltes Leben in eine für sie fremde Kultur hineinwachsen können.

Und ein langer Prozess dieser Menschen, bereit zu sein und zu lernen, ihr neues selbst gewähltes Leben in einer anderen für sie fremden und neuen Kultur anzunehmen.

Ein Prozess ist ein Prozess. Er braucht Zeit, wenn es ein gesunder Ablauf sein soll.
Mögen es die Entscheidungsträger „da oben“ begreifen, dass es mit einem Überstrapazieren der Gemeinden nicht funktionieren wird.

Mit nachdenklichen Grüßen, Eure Petra Kolossa.