Vor vier Jahren, konkret am 17. März 2020, schrieb ich eine Notiz in meinen Kalender: „Mein C-Tag“. Ein Jahr später machte ich dieses Datum zu meinem ganz persönlichen „Corona-Gedenktag“. Ich erinnere mich, als wäre es heute. Vor meinen Augen spulen sich diese Minuten haarklein ab. Ich kam aus einem Termin und ging zu meinem Auto. Wie meistens schaute ich auf mein Smartphone, um die eingegangenen Emails und Nachrichten zu checken. Als ich diese Email las, wo mir, wie auch meinen Kolleginnen und Kollegen, mit sofortiger Wirkung untersagt wurde, die Arbeit fortzusetzen, konnte ich noch nicht ahnen, dass das bis zum heutigen Tag mein letzter Auftrag in dieser Art, im direkten Kontakt mit Menschen vor Ort gewesen ist.
Als diese Notiz in meinem Kalender auch in diesem Jahr aufploppte, sinnierte ich darüber, wie sehr sich mein Leben, meine Wahrnehmung und Gefühlswelt seit diesem Datum verändert haben. Diese Zeit hat uns Menschen geprägt. Sie hat unsere Gesellschaft stark verändert. Dieser gelungene Coup beflügelt die Macher dieser politischen Welt bis heute und sie sind nicht bereit, das Gefühl der Macht loszulassen. Sie nutzen den Lauf, um mit dem in dieser Coronazeit erpobten und bewährten Druck ihren Willen der Gesellschaft aufzuzwingen. Das größte und einfachste Instrument sind ihre Medien und Angstmache. Zwangsgebührenfinanziert, staatlich, gefügig, vierundzwanzig Stunden lang an sieben Tagen die Woche verfügbar, manipulativ, suggestiv, indoktriniert. Tropfen für Tropfen erfährst Du was gut und böse ist, was schwarz und was weiß, was richtig und was falsch ist, wie Du denken sollst, was Du denken sollst, wie Du handeln sollst, dass Du Angst haben musst.
In den letzten drei Tagen sah ich eine ganze Menge meiner geschriebenen Notizen aus den letzten vier Jahren durch. Und ich stellte für mich fest, dass noch nicht die Zeit gekommen ist, diese Texte offiziell zu verarbeiten.
Dennoch pickte ich anläßlich meines „Corona-Gedenktages“ eine Notiz für Euch heraus. Diese schrieb ich damals ein Jahr nach dem offiziellen Lockdown. Wir steckten also mittendrin.
Ein Samstag, Mitte April im Jahr 2021
Es ist ein trüber und sehr kühler Morgen. Die Sonne liegt hinter den dunstigen Wolken und hat wenig Lust, sich anzustrengen, mir den Gefallen zu tun, mehr Licht und Wärme zu senden. Ich schaue in die noch immer mit Schnee bedeckten Alpen und nehme mit meinem Auto die verschlungenen Straßen ins Tal.
Die kleine Stadt mit der imposanten Basilika auf dem höchsten Punkt im Ortszentrum zieht unweigerlich die Aufmerksamkeit auf sich. Es ist wahrlich ein beeindruckendes Gebäude, die größte Barockkirche nördlich der Alpen, in Weingarten.
Weingarten kennt man als eine kleine quirlige und geschäftige Stadt mit unendlich vielen kulturellen und künstlerischen Aktivitäten, mit Straßencafés, Restaurants, Weinstuben, kleinen Geschäften, Galerien, studentischem Treiben.
Heute, wie seit über einem Jahr ist die Stadt grau. – Passend zum Tag, denke ich. Es ist Samstagmorgen. Geöffnet haben im Stadtzentrum die Supermärkte und Bäckereien. Die Menschen stehen mit ihren Masken schweigend in großen Abständen voneinander in einer Schlange draußen vor den Türen. Sie warten, an der Reihe zu sein, eintreten zu dürfen, um ihren Einkauf zu tätigen.
Ich fahre weiter zu meinem Ziel. Ein geschäftlicher Auftrag führt mich. Einen Parkplatz zu finden, war immer ein Problem. Inzwischen nicht. Ich greife nach meiner Tasche und gehe zu meinem Ziel. Ein großer Aufsteller mit den üblichen Anweisungen, die man auf Anordnung zu beachten habe und der Hinweis, dass nur drei Personen den doch ziemlich großen Raum betreten dürfen, steht mitten im Vorraum und versperrt jedem Eintretenden den Weg. Dieses Teil schreit regelrecht nach Beachtung, denke ich.
Vor mir steht eine Frau. Sie sieht mich kommen und macht sich sofort mir gegenüber Luft. Mit dumpfer Stimme schimpft sie, dass in dem Raum acht Personen seien, obwohl nur drei erlaubt sind. Keiner würde etwas sagen. Kein Wunder, dass wir alle Covid kriegen werden, wenn sich keiner daran halte, was vorgeschrieben sei. Sie schimpft und schimpft. Die Maske in ihrem Gesicht saugt sich mit jedem Luftholen fest an ihren Mund. Dieser Sauerstoffmangel muss ein Kraftakt für sie sein, denke ich und möchte ihr am liebsten sagen, sie solle aufhören, sich so dermaßen zu erregen.
Ich schaue in den Raum und sehe, dass vier Personen, wahrscheinlich eine Familie, gemeinsam etwas zu erledigen haben und drei weitere sich in großem Abstand in dem Raum befinden. Innerlich verdrehe ich die Augen und denke: Mein Gott! Wo ist das Problem?
Eine Person verlässt den Raum. Die Frau vor mir bleibt stehen und will nicht hineingehen. Ich bitte sie, ihre Sache zu erledigen. „Ich gehe dort nicht rein! Es sind noch zu viele!“ Ich sage zu ihr, dann werde ich es jetzt tun. „Nein!“, faucht sie mich an. „Ich bin die nächste! Nicht Sie! Sie warten!“ Eine Mitarbeiterin bittet die Frau, einzutreten. „Nur drei dürfen in den Raum!“, schreit sie. Die Mitarbeiterin bittet mich, zu kommen. Die Frau stellt sich in die Tür. „Sie warten!“, weist sie mich an.
Nun gut. Ich sah, dass die Familie ihre Sache erledigt hat und den Raum nun verließ. Damit war auch das Problem dieser Frau erledigt. – Ist das tatsächlich nur ihr Problem? Was geschieht hier mit uns Menschen?
Meinen Auftrag habe ich erledigt und begebe mich auf den Heimweg. Die Sonne hat sich entschieden, schwach durch die Wolken zu schauen. Ich zwinkere ihr entgegen und fahre über Ravensburg, um bei einem meiner Lieblingsbäcker, der sich in einem Supermarkt eingemietet hat, anzuhalten.
Kurz verweile ich hinter dem Steuer und lasse die Situation auf mich wirken. Auch hier stehen die Menschen mit ihren Masken in großen Abständen schweigend in einer Reihe an, um mit einem nächsten Einkaufswagen Einlass zu bekommen. Diese Reihe von Leuten wirkt trist, grau, der Situation ergeben.
Ich ziehe den Zündschlüssel ab und gehe zu dem Bäcker hinein. Lange muss ich nicht warten. Und ich freue mich, eine mir seit vielen Jahren bekannte Verkäuferin hinter dem Tresen zu entdecken. Sie ging vor etwas über einem Jahr in den Ruhestand. Sie freute sich darauf. Wir haben oft miteinander gesprochen.
„Oh, das ist aber schön, sie hier zu treffen.“, sage ich und ergänzte: „Sie können auch nicht loslassen?“
Sie lachte. „Wissen sie, ich bin froh hier sein zu können. Auch wenn es nur stundenweise ist. Zu Hause werde ich verrückt. Seit mein Mann gestorben ist, ist es ohne Kontakte nach draußen schrecklich einsam.“ Sie lächelt. „Ich gehe jeden Tag spazieren, bin draußen. Aber allein. Ich bin ein kommunikativer Mensch. Mein Sohn wohnt mit seiner Familie in Australien. Er verliebte sich dort und blieb nach seinem Studium in Melbourne. Wo soll ich hingehen? In ein Café, ins Kino, ins Theater, soll ich reisen, eine Kunstausstellung besuchen … sagen Sie mir, was soll ich machen, um unter Leute zu kommen? Es ist doch alles geschlossen und gesperrt. Ich bin fit, aber ich gehe auf die siebzig zu. Einige meiner langjährigen Freunde leben in ganz Deutschland verteilt, einige leben nicht mehr. Ich wollte noch so vieles tun, mein Englisch an der Volkshochschule auffrischen, wieder tanzen, Freunde besuchen, reisen …“
Sie lächelt. „Ich habe mich wirklich gefreut, als mein Chef mich anrief und fragte, ob ich stundenweise aushelfen könne. Über dreißig Jahre habe ich für die Bäckerei gearbeitet. Ich genieße die Stunden hier.“
Sie packt meine Tüten und kassiert mich ab und sagt dabei: „Ich freue mich wirklich, Sie zu sehen. Und ich weiß ja, wie Ihr Lächeln ist. Ich denke mir Ihre Maske einfach weg.“, lacht sie und sagt: „Bis zum nächsten Mal. Hoffentlich bald.“
Ich sitze wieder im Auto und werde in fünfzehn Minuten zu Hause sein. Meine Gedanken sind noch bei meiner letzten Begegnung. Ein süß-bitterer Geschmack macht sich breit. Es ist wunderbar für sie, dass sie der Hölle Einsamkeit für eine gewisse Zeit entkommen und auf diese Weise dieses traurige Loch stopfen kann.
Die Ampel steht auf Rot. Ich schaue auf den in voller Pracht mit Frühjahrsblühern übersäten Hang rechter Hand. Ein etwas breiterer asphaltierter Weg führt hinauf in ein modernes Wohngebiet.
Auf einem Tretroller stehen drei Jugendliche, eng umschlungen und kommen lachend den Weg heruntergesaust. Ich lasse das Fenster auf der Beifahrerseite herunter. Unbedingt möchte ich den Sound dieser fröhlichen Fuhre aufschnappen. Ein breites Lächeln macht sich in meinem Gesicht breit. Es tut so gut, diese Zwölf- bis Vierzehnjähren so ganz normal zu erleben. Es ist ein menschliches Bedürfnis nach Nähe, Berührung und Umarmung.
Die Ampel schaltet. Ich fahre weiter, lasse das Fenster wieder hoch, wische mir mit dem Handrücken die feuchten Augen trocken, und denke: Wir können es uns heute noch nicht ausmalen, was wir unseren Kindern mit diesen ganzen Vorschriften, der Gängelei und den Verboten nehmen und antun. Es wird gravierende Spuren in ihren Seelen hinterlassen und folglich das menschliche Leben perspektivisch sehr verändern.
Heute ist Frühligsanfang.
Als ich mir am Nachmittag vor unserem Haus ein wenig die Füße vertrat, machte ich unter anderem dieses Bild.
Die Schneeglöckchen und Winterlinge haben sich bereits verabschiedet.
Stattdessen kämpften sich durch die Hinterlassenschaften der kühlen Jahreszeiten Veilchen, Gänseblümchen, Primeln, Himmelschlüsselchen und Gewitterblümchen. Der Frühling hat die Wiese erobert …
Habt einen wunderbaren Tag.
Herzlich, Eure Petra Kolossa.
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